Die Erforschung unterirdischer Bauwerke ist in vielerlei Hinsicht eine Herausforderung. Besonders, wenn es sich wie im Falle der Erdställe um fundleere, unausgemauerte und oft einsturzgefährdete, enge Räumlichkeiten handelt. Die praktische Arbeit im Untergrund ist nicht jedermanns Sache. Dafür bieten die Erdställe mit ihrer kaum greifbaren Zweckbestimmung ein weites Feld an Interessensgebieten, u.a. in den Bereichen Geschichte oder Volkskunde.

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Eine Lösung des Rätsels ist nicht in Sicht

Vorbereitung

Die Erdställe sind in ihrer Architektur derart rätselhaft und unpraktisch, dass sich allein auf Grund ihres Erscheinungsbildes keinerlei Hinweis auf eine Verwendung ergibt. Auf den ersten Blick kommt sicherlich der Gedanke an ein Versteck, aber die Enge und die geringe Ausdehnung der Anlagen ergeben wenig Sinn. Spätestens die Verengungen (Schlupfstellen) mit einem Durchmesser von oft weniger als 40 cm sind nicht nur für mögliche Verfolger größtes Hindernis. Ein praktischer Nutzen der Erdställe lässt sich nicht ausreichend belegen. Dies und die Schwierigkeit der Datierung der stets fundleeren Bauwerke führten zu einer Mehrzahl von kultischen Deutungen. Der Erdstallforscher Karl Schwarzfischer sah in den Erdställen Leergräber aus der Zeit der Völkerwanderung. Die sich in den Erdstallregionen ansiedelnde Bevölkerung konnte ihre Bestattungen nicht mitnehmen und baute ihren Ahnenseelen als Ruhestätte die Erdställe. Ein Heimatforscher aus dem Norden Münchens, Anton Haschner, erweiterte diese Hypothese und war der Meinung, die Erdställe wären als Seelenkammern mit frühchristlichem Glaubenshintergrund angelegt worden. Um das Jahr 1000 gab es noch kein Fegefeuer, also warteten in den Erdställen die Seelen der Verstorbenen auf den Tag des jüngsten Gerichts. Haschner bezieht sich u.a. auf Erwähnungen im Buch Hennoch und suchte so die Wurzeln im christlich-jüdischen Kontext. Andere Deutungen, z.B. von Frau Elsa Maria Roth, beziehen sich auf ein früher weit verbreitetes Durchschlupfbrauchtum. Begründet wird dies mit den in den Erdställen immer wiederkehrenden Verengungen (Schlupfstellen). Die Erdställe werden auch als Iniationsräume oder im agrarreligiösen Zusammenhang als Rückzugsorte der Fruchtbarkeit in der toten Jahreszeit gesehen (siehe auch "Sagen und Brauchtum").

Wichtig für die Eingrenzung einer möglichen Zweckbestimmung ist das Alter der Erdställe. Die zeitliche Einordnung der Erdställe in Bayern und Österreich wie auch in anderen europäischen Verbreitungsgebieten wird heute in das Hochmittelalter (11. bis 13. Jh.) gelegt. Siehe auch:

"Das Alter der Erdställe im europäischen Vergleich" von Dieter Ahlborn

"Das Alter der Erdställe" von Josef Weichenberger.

Vergleichende Forschung

Die Erdställe sind nicht nur in Bayern und Österreich beheimatet. In Frankreich, Irland und England werden sie als "Souterrain" bezeichnet. Unter diesem Begriff werden sämtliche unterirdische Anlagen zusammengefasst, die Erdställe, wie auch verwandte Anlagen. In Bayern, Österreich und weiten teilen Frankreichs werden die Erdställe siedlungsbezogen sowie auf Grund einiger Datierungen von Holzkohle oder Keramik dem Hochmittelalter zugeordnet (ebenso in den südniederrheinischen Lösregionen). Wobei es Ausnahmen gibt. In der französischen Bretagne gehen Datierungen verwandter Anlagen bis in die Zeit um 600 vor Christus zurück. Diese unterirdischen Anlagen sind mit dem für die Erdställe typischen Schlupf ausgestattet. Siehe auch unter Souterrains auf Wikipedia (mit weiterführenden Links).

Auch in Israel wurden den Erdställen verwandte Anlagen entdeckt. Sie werden mit dem Bar Kochba Aufstand in Verbindung gebracht und in die Zeit um 100 n. Chr. datiert.

Aus Nord- und Südspanien gibt es verschiedene Meldungen zu Erdstallentdeckungen.

Eine Datierung der Erdställe in das Neolithikum, wie es zur Zeit in der österreichischen Steiermark propagiert wird, kann von einer ernst gemeinten Forschung nicht bestätigt werden.


Das Phänomen der Rundgangerdställe. In Zentralfrankreich gibt es Erdställe, die in einem Rundgang enden. Vergleichbare Grundrisse sind vor allem aus Niederösterreich und dem Waldviertel bekannt. Dazwischen liegen etwa 1400 km weite, erdstallfreie Zone.

Video zur S.F.E.S. Tagung in der Region Monts du Forez / Frankreich im Jahr 2015


Ausserhalb der üblichen Verbreitung. Bei Niederwünsch im Saalekreis wurde bei Arbeiten an einer ICE Trasse im Jahr 2010 ein Erdstall entdeckt, der im Zusammenhang mit dem Siedlungsbefund in das Hochmittelalter datiert werden konnte.


Ein scheinbarer Reichtum an verschiedenen unterirdischen Anlagen in der österreichischen Steiermark führt derzeit zu einer von der allgemeinen Forschung abweichenden zeitlichen Einordnung. Problematisch ist hier die Vermischung von Wassergängen und anderen Anlagen mit tatsächlichen Erdställen. Zudem wird auf "gemutete" (mit der Wünschelrute erfasste) Anlagen zurück gegriffen, deren Existenz nicht belegt ist. Neu ist die in einer Veröffentlichung im Jahresheft (2016) des Arbeitskreis für Erdstallforschung e.V. behauptete Datierung eines Erdstalles auf ein Mindestalter von 24.000 Jahren, die allerdings auf einer Fehlannahme beruht.

Siehe auch unter Aktuelles

Lesen Sie einen Beitrag eines Kollegen "Kritische Anmerkungen zu den Forschungsergebnissen von Heinrich Kusch".

Sagen und Brauchtum

Märchen oder Sagen in einen Zusammenhang mit der Lösung des Erdstallrätsels zu stellen mag auf den ersten Blick ein gewagtes Experiment sein. Wenn überhaupt, so kann das Rätsel der Erdställe aber nur interdisziplinär gelöst werden. Neben der Archäologie, der Siedlungs- und Religionsgeschichte ist die Mythologie und Volkskunde mit ihren immateriellen Funden wie den Sagen und Märchen ein wichtiger Träger von Informationen. Sagen sind als immaterielle Funde ein fester Bestandteil des Erdstallphänomens. Es wäre durchaus denkbar, wenn sich Vorstellungen um Sinn und Zweck der Erdställe bis heute in den noch erhaltenen Sagen versteckt halten. Deuten die Sagen auf vorchristliche Vorstellungen, die im Zusammenhang mit dem Jahreskreis stehen und damit einem Wiedergeburts- oder Fruchtbarkeitskult zu Grunde liegen ? Oder haben sich die Sagen lediglich aus einem mittelalterlichen Aberglauben heraus auf die Erdställe gelegt ? Darf sich eine seriöse Forschung überhaupt auf die vorhandene Volksüberlieferung stützen ?

Nur Wenige betrachten bis heute den einzelnen Erdstallfund vernetzt in seiner unmittelbaren Umgebung und zwar betreffend seiner Ortslage, der Ortsgeschichte und der Ortsnamensforschung, aber auch im Vergleich mit einem noch vorhandenem Brauchtum vor Ort und im Falle der fundleeren Erdställe besonders mit den Sagen.

Das Brauchtum liegt oft nicht weit von den Sagen entfernt. Als Beispiel sei das Perchtenbrauchtum genannt. In der Percht spiegelt sich die Gestalt der Frau Holle, die als ehemalige Göttin für das Wohl der Menschen zuständig war, aber auch für deren Lebensspanne. Ihre Aspekte sind dieselben der drei Schicksalsschwestern, die sich als drei Jungfrauen in die Erdställe begeben haben. Die erste spinnt den Lebensfaden, die zweite bemisst ihn und die dritte schneidet ihn ab. Die Zusammenhänge sind deutlich und lassen sich vielfach belegen. Dabei muss beachtet werden, dass sich Sagen auch als Ausdruck des Volksglaubens auf einen Erdstall gelegt haben können.

Lesen Sie eine Einführung und einige typische Sagen zu den Erdställen, die anlässlich der Kelheimer Kulturtage 2012 zusammen gestellt wurden (siehe Link). Im Bereich "Medien/downloads" finden Sie ein Interview zur Brauchtumstheorie.


Forschungsgeschichte

Die Erdställe blieben lange Zeit unbemerkt. Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts, als sich die Altertumsforschung belebte, kamen die Erdställe ins Gespräch. Zahlreiche Archäologen, Volkskundler und Heimatforscher haben sich bis heute, wenn auch nur vorübergehend, mit der Frage der Erdställe beschäftigt.

Der bayerische Sagensammler und Altertumsforscher Friedrich Panzer fertigte Mitte des 19. Jh. erste Pläne zu Erdställen an und veröffentlichte diese mit ausführlichen Beschreibungen in seinem Werk "Bayerische Sagen und Bräuche". Lambert Karner, ein österreichischer Benediktinerpater, erkundete in seiner langjährigen Forschungsarbeit über 400 Erdställe und künstliche Höhlen. Sein 1903 erschienenes Werk "Künstliche Höhlen aus alter Zeit" ist bis heute eine der wichtigsten Forschungsarbeiten. Ihm folgte Karl Schwarzfischer. Dieser beschäftigte sich von den Nachkriegsjahren bis zur Jahrtausendwende intensiv mit den Erdställen und gründete einen Arbeitskreis. Sein Buch "zur Frage der Schrazellöcher oder Erdställe" ist bis heute die wichtigste und umfangreichste Zusammenfassung zum Thema Erdstall.

Die ersten fotografischen Aufnahmen in den Erdställen wurden um die Jahrhundertwende von Lambert Karner erstellt und in Zusammenarbeit mit der k.k. Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt Wien in sein Buch "Künstliche Höhlen aus alter Zeit" als Heliogravuren eingearbeitet (siehe Abb.)

Probleme der Forschung

Über mehr als ein Jahrhundert beschäftigten sich Menschen aus unterschiedlichen Berufen und Fakultäten mit dem Phänomen der Erdställe. Über viele Jahre hindurch wurde erfasst, vermessen und dokumentiert. Eine Lösung des Erdstallrätsels wurde dabei nicht gefunden, die Frage warum oder wofür die Erdställe erbaut worden sind bleibt bis heute unbeantwortet. Die Ansammlung von Dokumentationen und Plänen für eine Einordnung und Unterscheidung der verschiedenartigen Erdställe war und ist sehr wichtig. Auch einige gute Ansätze zu Hypothesen über eine mögliche Zweckbestimmung sind entstanden. Jede Theorie lässt sich aber an Hand weniger Fakten widerlegen. Dennoch befassen sich heute mehr Menschen denn je mit dem Phänomen der Erdställe. Der Grund: In den Jahren 2009 bis 2013 wurde die Wanderausstellungen "Erdställe, rätselhafte unterirdischen Gänge" in verschiedenen bekannten bayerischen Museen veranstaltet. Die Ausstellung fand ein optimales Echo in den Medien. In keiner Zeit zuvor wurden so viele Menschen mit dem Thema Erdstall erreicht.

In Deutschland gibt es heute zwei aktive Forschergruppen, die Interessengemeinschaft Erdstallforschung (IGEF) und den Arbeitskreis für Erdstallforschung e.V.

Probleme der Erdstallforschung:

  • Kein Austausch unter den aktiven Forschergruppen innerhalb Deutschlands.
  • Das Fehlen einer vernetzten Betrachtungsweise (Erdställe werden in einer bestimmten Region aufgedeckt und regional bearbeitet. Ein Bezug zur Geschichte und anderen örtlichen Gegebenheiten wird meist auf die nähere Umgebung begrenzt).
  • Pseudowissenschaftliche Veröffentlichungen von angeblichen Forschungsergebnissen, die der Laienforschung die Glaubwürdigkeit entziehen, wie z.B. Datierungen in prähistorische Zeit.
  • Ein die Forschergruppen betreffend selektierendes und in der Bodendenkmalpflege wenig strukturiertes Landesamt für Denkmalpflege in Bayern.

Lösungsansätze:

  • Die IGEF hat sich im Laufe der Jahre zu einem unabhängigen, europäischen wie internationalen Netzwerk hervorgearbeitet. Eines der dauerhaften Ziele der länderübergreifenden Forschung sind ein kontinuierlicher Austausch sowie der Ausbau des Netzwerkes und die Integration noch einzeln für sich arbeitender Interessensgruppen.

Links

Links zum Thema Erdstall und verwandten Themen.

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